Sonntag, 7. November 2010

Die andere Seite von Mexico

Überall Staub, überall Dreck. Die Häuser sind aus Pappe, Stöcken und Lehm zusammengeschustert, es gibt kein elektronisches Licht, nur an wenigen Stellen Wasserpumpen. Die Menschen die hier leben wissen fast nichts über Hygiene oder Gesundheit, sie leben in Schmutz und Armut.
Die Kinder, oft 5 oder sogar mehr in einer Familie, sitzen barfuß auf dem staubigen Boden und spielen mit kaputtem Spielzeug oder einfach nur dem Müll, der überall auf den Boden geworfen wurde. Viele von ihnen haben fleckige Haut, ein Zeichen der Unterernährung, einige noch dazu schlimme Krankheiten. Doch an medizinische Versorgung ist nicht zu denken. Das Geld genügt oft nicht mal für das nötigste Essen, an abwechslungsreiche Kost oder Medikamente ist da nicht zu denken. Auch die Alten, die wahrscheinlich schon ihr ganzes Leben im selben, baufälligen Haus gelebt haben, können von Gehhilfen oder anderen Dingen, die das Leben einfacher machen, nur träumen. Sie sind auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen.


Wir sind schon vorher einige Male an solchen pueblos vorbeigefahren, aber diesen Samstag war es für uns das erste Mal, die Häuser von Nahem zu sehen, mit den Menschen, die dort wohnen zu sprechen.
Wir sind zusammen mit dem Institut und dem Waisenheim zu einem Sozialeinsatz gefahren, haben Essenspakete und Kleidung verteilt. Aber als ich diese Armut gesehen habe, wusste ich, dass das wenige, was wir ihnen gegeben haben, nicht wirklich hilft. Das Essen langt für eine Woche, in den großen Familien wahrscheinlich nur ein paar Tage und danach ist doch wieder alles gleich.

Ich wusste nicht, wie ich mich fühlen soll, wie ich mich verhalten oder wo ich hinsehen soll. Ich kam mir richtig schäbig vor. Ich, die alles habe, stand da, vor den Familien, die unter dem Existenzminimum leben, und konnte nichts sagen, wusste nicht, wie ich mich ausdrücken soll. Die müssen sich gefühlt haben wie Tiere, die in einem Zoo angegafft werden. Und doch werden sie für sich diesen Vergleich nicht machen können, weil bestimmt noch nie auch nur einer von ihnen in einem Zoo war.


Die Menschen die dort leben haben keine Perspektive, sie leben in ihrem kleinen Dorf und haben keine Möglichkeit, dort irgendwie wegzukommen, haben teilweise nicht mal ein Fahrrad, bei großem Glück vielleicht ein Pferd. Zu Fuß ist selbst das nächst große Dorf eine halbe Stunde entfernt, es gibt kaum Arbeit und keine Möglichkeit, an Bildung zu gelangen, die die Grundschule übersteigt. Und auch sonst findet man hier nichts, was an den Standard unseres Lebens reicht. Die Menschen dort haben noch nie in ihrem Leben einen anderen Teil der Welt gesehen, die Kinder und auch manche Erwachsenen kennen so etwas wie Internet, Handys oder Laptops höchstens vom Hören.

Als ich das alles gesehen habe, habe ich mich hilflos gefühlt. Ich bin hier, um zu helfen, und eigentlich sollte ich doch dann in einem solchen Dorf sein und versuchen, dort etwas zu ändern? Das Problem ist, dass so ein Projekt wie ein Fass ohne Boden ist. Hier müsste man von ganz vorne anfangen, mit Kursen über Hygiene, mit dem Aufbau stabiler Gebäude, mit dem Bau sanitärer Anlagen, mit Kursen für Kinder.. und diese Liste ließe sich noch ewig weiterführen.
Das alles würde mich grundlos überfordern, hier könnte ich nicht helfen. Da müsste ein ganzes Team ran, das sich auskennt, studiert hat und Ahnung hat. Und es gibt hunderte, sogar tausende solcher Dörfer. Also wie soll man wo anfangen?

Und trotz allem, trotz der ganzen Probleme und der Perspektivlosigkeit, können die Menschen dort lachen, die Kinder verbringen glückliche Stunden mit ihren Freunden und beklagen sich nicht. Von ihnen kann man soviel lernen.

Vor allem wir einem in einem solchen Moment bewusst, welches große Glück man selbst hat. Wie behütet mein Leben ist, war und sein wird, ist mir noch einmal viel deutlicher geworden. Es sind 3 Welten, in denen ich mich bewege. Die erste ist mein Zuhause in Deutschland, in dem ich alles habe, was ich will. Die zweite ist hier auf dem Campus, eine Welt, in der ich auf viel verzichten muss. Immer wieder kein Wasser, ein Zimmer mit 3 Leuten teilen, auf vielen Luxus verzichten. Und die 3. der Welten ist die Welt, in der diese Menschen leben.

Die Ungerechtigkeit der Welt ist schwer zu begreifen, gerade wenn man sowas vor den Augen hat. Wie kann es sein, dass Menschen übergewichtig werden, weil sie zu viel zu essen haben, wenn an anderen Orten der Welt Menschen an Unterernährung sterben? Das ist nur einer der hunderten von Fragen, die man sich stellen muss. Ich bin hier, um zu helfen, um etwas zu verändern, und doch stelle ich mir die Frage, wie viel ich letztendlich tun kann, was ich hier bewirken kann.

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